Khalil Gibran | um 1925
Quelle: www.dertrickser.de
Meine Freunde und Weggefährten! Arm das Land, das voller Lehren ist, aber ohne Glauben.
Arm das Land, das Kleider trägt, die es nicht selber webte, das Brot ißt, das es nicht selber erntete, und Wein tringt, der nicht aus eigener Kelter floß.
Arm das Land, das einen Tyrannen wie einen Helden verehrt und das einen ruhmbedeckten Eroberer für einen Wohltäter hält.
Arm das Land, das die Leidenschaft in seinen Träumen für gering erachtet, aber sich beim Erwachen ihr unterwirft.
Arm das Land, das nicht seine Stimme erhebt, außer beim Begräbnis, das nichts rühmt, außer seine Ruinen und das sich nicht auflehnt, außer sein Hals liegt zwischen Schwert und Richtblock.
Arm das Land, dessen Führung arglistig ist, dessen Philosoph ein Gaukler und dessen Kunst Flickwerk und Fälschung ist.
Arm das Land, das seinen neuen Herrscher mit Trompetenstößen willkommen heißt und mit Hohngelächter ihn verabschiedet, nur um einen anderen wieder mit Trompeten zu begrüßen.
Arm das Land, darin die Weisen mit den Jahren schweigen und dessen stärkste Männer noch in der Wiege liegen.
Arm das Land, das gespalten ist in Teile, und darin jeder Teil ein eigen Land sich nennt.