Amber Sadoor, Februar 2015
Quelle: www.dertrickser.de
Manchmal erscheint jeder Tag wie ein Monat. So viel passiert in ihm. Der alte Mann meinte jene Tage, die gerade hinter ihnen lagen. Seine Stimme hinterließ das Gefühl, dass diese Art von Tagen auch noch vor ihnen lägen. "Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich das zuletzt gespürt" ergänzte er.
Seine Stadt war seit Wochen in einer seltsamen Stimmung. Verstörung lag in der Luft. Und Aufbruch. Nur waren wir keine Indianer, die ihre Zelte zusammenpacken und mit dem ganzen Dorf anderswohin ziehen konnten. Unsere Behausungen waren aus Stein, unser Dorf war eine Halbmillionenstadt. Unser Leben war urbanes Leben zu Beginn des 3. Jahrtausends und nicht tribalisches Dasein in der Prärie. Schamanen waren selten in der Stadt. Unser Aufbruch konnte deshalb nicht darin bestehen, die Stadt zu verlassen. Oder doch?
"Die müssen doch verrückt sein" sagte der alte Mann ruhig, aber mit spürbarer Empörung. Er griff sich an die hohe Stirn und erzählte von einer Fernsehsendung, die tags zuvor lief. Ein früherer Nato-General, der Organisator der Münchner Sicherheitskonferenz und ein anderes hohes Tier hatten darüber diskutiert, wie wahnsinnig es doch sei, so mit den Russen umzugehen. Wenn die das schon sagen, so der alte Mann, was machen denn die da in Berlin? Und die in Washington. Und dann Paris. Und Syrien. Die Flüchtlinge. Und die Unruhe. Griechenland. Und Spanien. Er schien dennoch gefasst. Vielleicht lag es daran, dass er solche Tage schon kannte.
Diese Tage, in denen soviel passierte wie sonst im ganzen Monat, beschleunigten die Zeit enorm. Ein jeder ging seinem Tagewerk nach, aber das Kopfkino war in Bewegung. Trafen sie sich, diskutierten sie. Es war schwierig dieser Art von Gesprächen zu entkommen. In diesen Tagen.