Amber Sadoor | Oktober 2005
Quelle: www.dertrickser.de
"absolute sicherheit gibt es nicht. sicherheit ist ein prozess."
seine stimme klang emotionslos. der griff zur tasse versprach ölung für die stimmbänder. nicht, daß dies nötig wäre, normalerweise sprach er nicht viel. leute wie er trieben sich jedoch selten ohne das koffein-konzentrat in den kanälen herum. es stählte die aufmerksamkeit, und hier unten war das nötig.
"was tust du da?"
sie saßen vor den monitoren. der admin drückte einige tasten und beobachtete die veränderungen auf dem schirm.
"kein system ist sicher. und dort..." – er zeigte auf zwei spitzen in einer grafik, die mit "connections" beschriftet war – "...dort versucht jemand, in meines reinzukommen." wieder trippelten seine finger flink über die tasten.
"harmlos."
ein schluck aus der tasse. das gesicht zu einem anderen bildschirm. ein neues fenster. suchende augen. trippelnde finger.
"sie versuchen, die lücken im system zu finden, indem sie mit ihm kommunizieren. systeme leben. sie zeigen reaktionen. sie müssen: es ist ihre bestimmung. nur tote systeme sind reaktionslos."
"und die systeme können sich nicht wehren?"
"ihre administratoren versuchen es." der admin löste den blick von den schirmen und sah seinem schüler in die augen: "ich sagte doch: sicherheit ist ein prozess. angriff und verteidigung. aktio und reaktio. ein ständiges aufrüsten." und nach einer pause: "auf allen kanälen!"
über einem der schirme prangte das horus-auge. diesem schirm widmete sich der admin am liebsten. im netzwerk trug die maschine den schlichten namen "x".
er hatte soeben den telefonhörer aufgelegt, konzentrierte sich wieder auf "x" und erzählte nebenbei.
"das war greg. von greg habe ich wirklich viel gelernt. er ist einer von den typen mit den seltsamen hobbies."
war es die erinnerung oder die grafiken, die kurz zu sehen waren, die ihm ein kleines lächeln auf die lippen zauberten?
"greg fährt bahn. er nennt sie mein highway."
schluck aus der tasse. anderer bildschirm. fenster. tasten. trippeln.
der schüler ahnte langsam, was sein lehrer tat. wollte der admin in die systeme der einbrecher einbrechen? war das die lektion, um die es in den letzten wochen ging? er würde datenpakete an die anderen system senden, um diese zu reaktionen zu zwingen. anhand der daten, die die systeme zurückschickten, würde er die angriffsdaten ändern. "viele kanäle führen nach rom" war einer der sätze, die immer mal wieder dem gegrummel des admins zu entnehmen waren. und wenn er die richtige datenkombination findet, würde das fremde system einen kanal öffnen, und sich infizieren lassen. eine art systemischer kontrollverlust, die der angreifer sich zunutze machen kann.
"du weißt doch, daß platzreservierungen in der bahn oberhalb der sitzplätze angezeigt werden? zumindest auf langen strecken." er drehte sich kurz nach dem schüler um, der aus gedanken aufgeschreckt seinen blick von dem monitor nahm und eilig nickte.
"greg sucht sich immer einen platz, wo er sicher sein kann, dass beim nächsten bahnhalt der platzbesitzer vor ihm steht." ein schluck aus der tasse. "oder die platzbesitzerin." ein vielsagender blick. "greg liebt die kommunikation." wieder dieses leichte zucken der mundwinkel.
plötzlich änderte sich irgendetwas auf der anzeige des laptops des schülers. er sah es im augenwinkel. für einen sekundenbruchteil merkte er, wie seine aufmerksamkeit schwand. er spürte wie seinem hirn eine entscheidung abgenötigt wurde: dem admin lauschen? die aktivitäten von "x" beobachten? die eigenen gedanken wieder aufnehmen? dem eigenen computer zuwenden? mehr aus reflex denn aus bewußter entscheidung wanderten die augen zur frischen meldung auf dem eigenen schirm. in großer orangener schrift, die fast die ganze fläche bedeckte, standen nur zwei worte:
"er lügt"