Amber Sadoor | August 2017
Quelle: www.dertrickser.de
Schon in dem Moment, in dem wir ins Leben geschissen werden, wenn wir aus der Vagina unserer Mutter gepresst werden, sind wir ihnen unterworfen: den Rhythmen des Lebens. Vielmehr: Es waren die Rhythmen, die uns geboren haben: Die Kontraktionen der Gebärmutter, mit zunehmender Frequenz, pulsieren uns in die Welt. Herangewachsen in 9 Monaten, dieser femininen Brutdauer, wie die meisten von uns. Wir werden geboren in diese rhythmische Welt, bei denen der Morgen damit beginnt, dass die Seite des Planeten, auf der wir leben, sich langsam aber unaufhaltsam in die Sonne dreht. Einige Stunden frontale Helligkeit nennen wir Tag und wenn die Planetenseite sich von der Sonne abwendet, nennen wir es Abend. Die Nacht für dich ist der Tag für jemanden auf der anderen Seite der Erde. Und Stunden später beginnt der Zyklus von vorn.
Die Schwingung, mit der die Erde durch das All torkelt, schenkt uns Sommer und Winter. Wendet sich unsere Erdseite stärker der Sonne zu, wird es wärmer, die Pflanzen hängen ihre Blätter ins Licht, um zu wachsen und werfen sie ab, wenn die Tage kürzer, die Nächte länger und die Winterkälte spürbarer wird. Jahr für Jahr wiederholt sich dieser Takt, der unserer Biosphäre ihre Vielfalt verschafft und unsere Spezies zwang vorauszudenken, um sich in der warmen Zeit für die kalte zu wappnen.
Weibchen, die es länger als 10, 12, 15 solcher Jahre auf dem Planeten aushalten, pulsieren ihre Geschlechtsreife mit monatlichen Blutungen in die Welt. Alle 28 Tage. Geeicht auf die Umlaufdauer des Mondes, der, von der Sonne aus verschiedenen Richtungen angeleuchtet, mal voll leuchtet und mal unsichtbar ist, weil er in der Schwärze des Alls zu verschwinden scheint. Es ist kein Zufall, dass der weibliche Rhythmus mit Lunas Rhythmus tanzt. Es ist kosmische Absicht. Und es verwundert so manche Frau, dass tatsächlich die Hälfte der Menschheit ohne einen solchen Rhythmus auskommen soll: Männer.
Die Kraft des Mondes ist trotz seiner Entfernung so stark, dass er das Wasser der Ozeane wie eine Welle über die Erdoberfläche zieht. Alle 12 Stunden erreicht der Wellengipfel die Küste, und um 6 Stunden versetzt ist das Wellental am gleichen Ort. Ebbe und Flut, ein ständiges Berühren und Abtasten von Meer und Land, ein periodisches Verschieben von Grenzen, bei dem sich Wasser und Trockenheit begegnen und eine Hexenküche schufen, aus der wahrscheinlich in grauer Vorzeit Leben entstieg. Man kann es blanken Zufall nennen, dass Erde und Mond so symbiotisch miteinander durchs All schlingern, in dieser habitablen Zone um den gleißenden Stern namens Sonne, dass es zum Leben gereicht hat. Vielleicht ist es aber auch zwingende Logik, dass bei Myriaden von Sternen auch einmal solch eine Unwahrscheinlichkeit eintritt, die es erlaubt, dass du lebst und liest.
Über den planetaren und biologischen Rhythmus legten die Schamanen und Mystiker der Stämme irgendwann kulturelle Rhythmen. Die Erfindung der "Woche" ist bloße Willkür. Es gibt keinen geologischen oder biologischen Grund, Tage in Gruppen zu 7 zu ordnen. Montag. Dienstag. Mittwoch. Donnerstag. Freitag. Sonnabend. Sonntag: Willkür! Basierend auf einer Geschichte, die Menschen sich ausdachten, um dem scheinbar unendlichen Kommen und Gehen der Tage eine Taktung zu geben. Die Juden benannten jeden 7. Tag zum Moment des Innehaltens und die Sozialdemokraten erstritten das, was wir Wochen-Ende nennen. Willkür.
Manchmal, wenn Menschen sich treffen, schmiegen sich die Frequenzen ihrer Schwingungen umeinander, als wären es zwei verwandte DNA-Stränge. Gleichklang. Göttlich. Wohltuend. Doch das Dasein sendet Störimpulse und so manches Menschengespann wurde schon auseinandergerissen, weil er sich am Wochen-Ende ausruhen und sie schon am Donnerstag wissen will, was sie am Samstagabend macht. Resonanzen in den Reaktionen ihrer Muster machen Begegnungen intensiv: Der Gleichlauf der Schwingungen bewirkt Verschmelzung, asynchrone Takte machen Reibung und Krach. Und so manche Zuneigung keimt gerade dann auf, wenn sie beim anderen schon wieder abgeflacht und die Aufmerksamkeit weitergezogen ist.
Neue Rhythmen halten Einzug. Wenn sie sich trennen, die Paare mit Kindern, wechseln nicht selten die Kinder im Wochentakt. Eine Woche bei ihr. Eine bei ihm. Eine bei ihr. Eine bei ihm. Wenn sie sich begegnen, solche Einzelkämpfer-Eltern, ist es nicht selten eine der ersten Fragen, welchem Kinderrhythmus man unterliegt, denn er entscheidet in der modernen Welt: Hat man Zeit füreinander? Oder kommen die Kinder zum einen genau dann, wenn der andere kinderfrei ist? Nicht selten scheitert der Versuch, die Kinderzeiten für neue Pärchen zu synchronisieren daran, dass die Ex-Partner mit ihren neuen Partnern bereits fest auf einen gewohnten Rhythmus eingeschwungen sind. Die Taktung eines Paares schwingt im sozialen Netz über Familiengrenzen hinaus und den Takt von Zweien ändern zu wollen, kann schnell ein ganzes Konzert an Taktungen in Mißklang bringen. Und so scheitern neue Bindungen nicht selten an solchen Rhythmen der Moderne.
Unter allem liegt der Herzschlag, rhythmisch im Sekundentakt, manchmal schneller, manchmal langsamer, je nach Blutdruck und Begegnungen. Oder Trennungen. Aufregung und Entspannung. Pulsierend und spürbar in jedem Teil des Körpers. Regulierend, ob du schlafen kannst oder wachst. Bis es aufhört zu schlagen, irgendwann. Um Platz zu machen für die nachfolgenden. Im ewigen Rhythmus des Lebens.