Amber Sadoor | Juli Zweitausendfünf
Quelle: www.dertrickser.de
"nichts ist so stark wie eine idee, deren zeit gekommen ist."
ideen sind wie viren. kommen sie mit dem künftigen wirt in einem moment in kontakt, wo seine aufmerksamkeit auf nichts als die idee gelenkt ist, hacken sie sich tief in seine seele. dort beginnen sie zu gären. sie verschieben prioritäten, nagen an synapsen und verursachen nicht selten kopfschmerzen. sie mutieren den träger in einen infektiösen herd. ideenträger machen alle diese phase durch, in der sie sich wie ein explodierender komet durch das universum der kommunikation schrauben, so als wollten sie ein frisches wurmloch graben. genau wie viren ihre nachkommen in alle welt schleudern, um ihre eigene spezies zu erhalten und zu verbreiten, verschleudern ideenträger ihre magische fracht. nicht wenige gehen an der seuche zugrunde und es werden nachrufe geschrieben, die mit worten beginnen wie "ich sah die besten köpfe meiner generation zerstört vom wahn..."
"warum guckt der mich so blöde an?"
die zwei freunde sassen in den hinteren reihen des strassencafés. so konnten sie nicht nur die besucher besser sehen, sondern zugleich beobachten, weshalb die leute in diesem café sassen: die sonnenschirme des etablissements standen an einer breiten, sanft abfallenden strasse mit einem stöckelschuhkompatiblen, breiten bürgersteig. auf diesem schlachtfeld der blicke wurde das uralte spiel "sehen und gesehen werden" gespielt. das café, welches nur ein paar meter nebenan dieselben sonnenschirme und dasselbe futter zu denselben preise anbot, war leer.
"der hat mich auch dumm angeguckt, das machen wir menschen nunmal so." seine augen entfernten sich nicht von der vor ihm liegenden szenerie als er seinen cappucino an die lippen führte.
die leise und sehr vorsichtig formulierte antwort "vielleicht sehen wir beide ja etwas seltsam hier aus..." suggierte die unterschwellige drohung "jemand weiss, dass wir hier sind!"
"klar sehen wir ein bisschen seltsam aus, wir gehören hier schliesslich nicht hin!" der cappucino fand wieder den weg auf den tisch. "beruhige dich, lehn dich zurück, geniess deinen cherry, die sonne und die hübschen menschen! und lass dich nicht kirre machen - wenn dich einer blöde anguckt, guck einfach blöde zurück!"
seit er dieser frau in dieser bar begegnet war, konnte er sich kaum noch auf den verkehr konzentrieren. eigentlich hatte er an diesem abend vor 3 wochen nur einen drink nehmen wollen. plötzlich setzte sie sich neben ihn, aus einem drink wurden drei und aus einem netten gespräch wurde angst. sie hatte ihm in lebhaften bildern und grossem detailreichtum erklärt warum sie glaube, jemand würde den himmel mit chemikalien besprühen, um gegen den klimawandel anzugehen. war es wirklich schon so weit, dass die regierung sich heimlich genötigt sah, solche mittel einzusetzen? chemikalien, um das problem in den griff zu kriegen und heimlich, um die bevölkerung vor einer panik zu bewahren? oder stimmten gar die gerüchte, jemand würde durch die chemikalien versuchen, die menschen krank und müde und damit kontrollierbar zu machen? der gedanke liess ihn seit diesem abend nicht mehr los. immer wieder sah er durch die frontscheibe hinauf auf der suche nach flugzeugen, die am blauen himmel spuren hinterliessen, die viel zu oft zu wolken mutierten. am anfang dachte er noch, die streifen seien das, was er unter "kondensstreifen" verstand. die frau hatte gesagt, flugzeuge würden in dieser höhe keine kondensstreifen hinterlassen! bei seiner suche im internet fand er die information bestätigt. und auch alles drumherum klang so logisch. und die beweisfotos! es machte ihm angst! und es waren tatsächlich viele dieser flugzeuge unterwegs. sie zogen diese weissliche spur hinter sich her, die vor dem blauen himmel ganz und gar nicht natürlich und gesund aussah. wo kamen all diese flieger plötzlich her?
er wünschte, er wäre dieser frau nie begegnet. diese hexe! diese verdammte hexe! hätte er sich nur nie auf dieses so nett lächelnde hexe in dieser bar eingelassen...!
beide fühlten sich, als hätten sie endlich ihr fehlendes teil gefunden, nach welchem sie ihr ganzes leben gesucht hatten. sie liebten bedingungslos. aber konnten sie dieser situation trauen? die vielen kleinen enttäuschungen, die vielen kleinen erfahrungen, die vielen kleinen erlebnisse im laufe ihres lebens mit anderen menschen hatten ihnen ihr misstrauen eingeprägt so wie ein fluss seine spuren in die berge gräbt. sie wollten nicht nach dem haken am jeweils anderen suchen und ertappten sich dabei, es trotzdem zu tun. es schien zu perfekt! die körper sagten ja. die nasen sagte ja. der bauch sagte ja. die weltsicht sagte ja. und sie genossen ihre zeit miteinander wie nichts zuvor...
nur die köpfe wollten das rattern nicht lassen.
die diktatorin wusste es. sie musste nur noch warten. und dann ihre medialen kanäle anstossen um das gesellschaftliche nervensystem mit den richtigen signalen zu fluten. die bedürfnispyramide von maslow erschien vor ihrem geistigen auge. bei dem gedanken, welche konsequenz sie aus diesem bild gezogen hatte, verwandelten sich die weichen züge des gesichts in ein lächeln, welches problemlos jeden schwiegervatertest überstand. es ist bei jedem menschen gleich: wenn du ihm die grundlage zum überleben entziehst - ganz langsam, es eilt ja nichts! - wenn du einem menschen angst um sein überleben und das seiner familie machst, greift er zu allem, was ihm als strohhalm gereicht wird. er will doch nur überleben - und das ist die phase, wo aus einem selbständig denkenden und handelnden individuum ein werkzeug mit vorauseilendem gehorsam wird.
und was mit einem einzelnen menschen funktioniert, funktioniert eben auch mit einer ganzen gesellschaft. eine gesellschaft besteht schliesslich aus einzelnen menschen. aus was sollte sie auch sonst bestehen!? eine gesellschaft folgt deshalb den gleichen regeln. und diese hier war voll auf den ökonomischen kollaps hin programmiert, das überleben wurde für die individuen zunehmend schwieriger. alles lief nach plan. die diktatorin wusste es. sie musste nur noch warten.
"...freiheit ist ewige paranoia. winston churchill hat das gesagt!
also ehrlich, manchmal glaube ich, du tickst nicht mehr ganz richtig. oder du rauchst zuviel! das lenin-syndrom hat dich erwischt, scheint mir! du siehst ja überall nur noch revolutionen, brüderchen. lass dich mal untersuchen! und wenn du mir geschichten von freunden von freunden erzählst - von wegen dieser und jener wäre in letzter zeit seltsamen leuten begegnet und ihre telefone würden abgehört und dass dich das an die stasi erinnert - ehrlich, mann, mach mal'n bissl urlaub! wir leben schliesslich nicht mehr im feudalismus und mielke ist auch schon eine weile tot.
jetzt kommst du mir bestimmt gleich wieder mit den terroranschlägen. und klar nützt das auch den brüdern des ordens. und klar wissen wir einen scheissdreck darüber, inwieweit die geheimdienste da mitmischen. egal ob unsere oder die von den amis. und klar, sogar die cdu führt das wörtchen revolution im mund. und klar gibts politische musik im radio. und klar hat sogar das puppentheater auf den politikern rumgestichelt... und? das wird trotzdem alles so weitergehen, glaub mir. selbst sven hat gesagt, er kann sich einfach nicht vorstellen, dass die guten endlich mal gewinnen...
ich glaube ja manchmal, du hast einfach nur schiss! es sagt dir keiner mehr, wo es langgeht und was du tun sollst. zum ersten mal musst du selbst entscheiden, was du willst! und du hast keinen plan, was du eigentlich willst. dir steht zwar alles offen - du musst eigentlich nur losmachen - aber genau das macht dir angst! deshalb zerbrichst du dir lieber den kopf über alles mögliche, um nur nicht an die alternative denken zu müssen!
so wie du derzeit drauf bist, befürchte ich manchmal, du drehst irgendwann durch! ja! ehrlich: wenn wir beide uns treffen und ich dich so höre, dann glaube ich manchmal wirklich churchill hatte recht, als er meinte: der preis der freiheit ist ewige paranoia!"