N.R. | Dezember 2012, Telepolis
Quelle: www.dertrickser.de
Ende im Kalender.
Schade an Nachrufen ist, dass sie erst nach dem Tode zu hören sind. Dabei hätte das, was die Rufenden zu sagen haben, der oder die Gestorbene vielleicht gern selbst gehört. Sollte nicht jeder immer mal zu hören kriegen, was seine Nahestehenden über ihn zusammenfassen, wenn das Zeitliche gesegnet ist? Den Nachruf heut zu hören statt ihn erst verlesen zu lassen, wenn man nicht mehr hören kann - das wär' doch interessant! Da der Weltuntergang bekanntlich bevorsteht, ist jetzt ein guter Zeitpunkt all dem nachzurufen, was sowieso vergeht. Wenn nicht beim Umblättern des Maya-Kalenders, dann doch irgendwann später. Wem lohnt es sich, einen Nachruf zu schreiben? Tocotronic? Lady Gaga? George W. Bush? New York? Meinem Vater?
Liebe Spezies.
Ein Nachruf.
Vom Affen kamst du. Ein Äffchen bliebst du. Ein kleiner Affe, superknuddlig, nur nicht ganz so behaart. Auch wenn deine Eitelkeit dich zu Höherem berufen hatte, letztlich warst du doch immer etwas zu tolpatschig für ein ewiges Leben. Wir haben dich dafür gemocht. Kein Wunder: Waren wir doch alle du.
Tolpatschig warst du, weil du aus deinen Fehlern ein winziges Schrittchen langsamer gelernt hast, als du durchs Leben gerannt bist. Die Erfahrung war immer ein Stückchen hinter dir. Du hast ihr wenig Zeit gelassen, dich einzufangen. Eine echte Hanna-guck-in-die-Luft haben dich die Nachbarn manchmal genannt und alle haben sich gebogen vor Lachen. Du warst ein echter Muntermacher.
Es war wundervoll, ein Teil von dir zu sein. Den Geburtsschmerz haben wir schnell vergessen. Du erinnertest dich einfach nicht, auch wenn du ausgefeilte Wege wie Sigmund Freud und Albert Hofmann ausprobiert hast. Sprechen hast du schnell gelernt. Nur mit dem Zuhören war das manchmal so eine Sache. Ohropax war die logische Folge, später hast du uns dann Kopfhörer mit Gegenschall gegeben. Wahnsinn, was du für Ideen hattest! Und wie geschickt du warst! Auch wenn vieles kurzlebig war und zum Schluss etwas zuviel Technik für den langen Stromausfall in unserem Heim installiert war: Dein Erfindergeist war uneingrenzbar. Wir hätten nur öfter gern gewußt, wohin du mit dem ganzen Kram letztlich wolltest.
Ja, natürlich, du hast danach gesucht - nach einem Gesamtbild, einem Sinn, einem Ziel, einem Zweck deines Daseins. Hast extra Ethikunterricht genommen und über große Zusammenhänge nachgedacht. Vermutlich hattest du zu wenig Zeit dafür. Aber eigentlich hast du dich sowieso lieber mit deinem Spielzeug amüsiert. Gern auch ganz allein. So ein verspieltes Kind wie dich haben wir hier selten gehabt. Wenn nur der Jähzorn nicht gewesen wäre. Das ganze Öl im Gartenteich. Die ganzen Unkrautvernichter im Gemüsegarten. Die Sprengfallen im Sandkasten, die Tierkadaver unterm Teppich, dein Oppenheimer-Experiment und diese ganzen fiesen Hinterhalte am Gartenzaun - du hast deine Intelligenz wirklich kreativ genutzt. Es gab diese hellen Momente, in denen du wahrhaft Größe gezeigt hast. Martin Luther King oder E.T., Paracelsus oder Sokrates. Und vor allem dann, wenn die ganze Nachbarschaft bei uns am Lagerfeuer saß und sang. Du hast immer den Knüppelkuchen vorbereitet. Das waren die schönsten Momente mit dir, wir hätten gern noch mehr davon erlebt!
Als kleine Kinder durften wir so herrlich naiv sein. Ich mit Winnetou, du mit dem Leben des Brian. Die Welt war ein einziger schöner Ort. Das Gute war stets, wofür wir standen. Egal was wir taten, du warst genauso überzeugt wie ich: Wir waren immer auf der richtigen Seite! Du wußtest nur manchmal nicht, worum du dich zuerst kümmern solltest: Essen und Trinken? Das Zimmer aufräumen oder Hausaufgaben machen? Umgraben oder den Schwelbrand löschen? Es ist halt schwierig, wenn kindliche Hochbegabung auf Nervosität und leichten Hang zum Größenwahn trifft. Ritalin, Marihuana, Religion - was du alles probiert hast, um halbwegs in die Spur zu kommen, war begeisterungswürdig. Nicht jede, die so viele Probleme hatte, hat sich so bemüht.
Dein Spieltrieb war echt legendär. Den Affenzirkus zum Kindertag werden wir nie vergessen. Oder wie du unseren Garten einbetoniert hast. Das war wirklich große Schule! Dein Faible für große Burgen - vornehmlich nah am Wasser - und die vielen Straßen zwischen deinen Niederlassungen beanspruchten sehr, sehr viel Platz. Als dann die Pubertät einsetzte und im Garten kaum noch Luft zum Atmen blieb, musstest du natürlich einiges wieder einreißen. Damit warst du so beschäftigt! Kokeln und dein grandioser Hüftschwung, mit dem du schon früher hin und wieder ein paar Osterinseln oder ganze Inka-Reiche eingehen ließest, waren immer deine geheimen Leidenschaften. Vielleicht wärst du Tänzerin oder Feuerschluckerin geworden, wenn du es noch etwas länger ausgehalten hättest.
Wir denken gern zurück an die Momente, wo wir alle zusammen unterwegs waren. Als Bucky Fuller uns das Raumschiff gebaut hat, mit dem wir durch die Nachbarschaft gedüst sind. Jimmy hat gesungen und du hast Elvis deinen Hüftschwung gezeigt! Babel war vergeben und vergessen und Mutter Theresa hat uns nachgewunken. Wir blieben die ganze Nacht weg und waren erst wieder zuhause, als schon die Sonne aufging. Oder unser Trip zur Fußballweltmeisterschaft oder zur Missy Universum. Teamplay vom Feinsten! Wir waren eine verschworene Gesellschaft: unterhaltsam und verspielt. Bis einer heulte. Ein fast leidloser Tod war dir vergönnt. Er kam so plötzlich! Du warst doch noch so jung! Du hattest noch so viel vor. Du dachtest grade darüber nach, deinen Mädchennamen abzulegen, da stotterte plötzlich dein Nervensystem, die Energie ging dir aus und die Luft blieb dir weg. Eine anstrengende Fiebernacht war unser letzter Tanz auf Erden.
Wir werden dich vermissen. Und rufen dir heute nach: Wo auch immer du jetzt bist - Play it again!